Beratung setzt Alternativen voraus

Welche Folgen hat es, wenn Geflüchtete auf der Suche nach Schutz und schon zu Beginn ihres Asylverfahrens mit Rückehrprogrammen konfrontieren oder gar bedrängt werden? Und welche Möglichkeiten, aber auch Grenzen haben unabhängige rechtliche und psychosoziale Beratungen? Fragen an Elise Bittenbinder, Vorsitzende der Bundesweiten Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer e.V. (BAfF).

Wie wirkt sich die intensive Bewerbung und die bereits zu Beginn des Asylverfahrens stattfindende Beratung zur Freiwilligen Rückkehr auf die Betroffenen aus?

Beides gibt den Menschen das Gefühl, dass ihr Schutzbegehren nicht ernstgenommen wird. Sie bekommen den Eindruck, in ihrer Not nicht gehört oder gesehen zu werden. Das stößt auf Unverständnis, da sie doch gerade ihren Asylantrag gestellt und damit ein Schutzbegehren formuliert haben. Es führt auch zu unnötiger Verunsicherung und nicht selten zu Verzweiflung. Die Gründe für die Flucht – Folter, Gefahr für Leib und Leben, humanitäre Not – geraten bei dem Ansatz, die Rückkehrberatung so schnell und früh in den Mittelpunkt zu stellen, aus dem Blickfeld. Ein geflüchteter Mann beschreibt dies so: „Mein letzter Funken Hoffnung ist mir genommen worden, als man mir zur Rückkehr geraten hat, obwohl das Leid meiner Familie doch so offensichtlich ist. Ich habe in meiner Heimat lange für das Überleben meiner Familie und für mehr Gerechtigkeit gekämpft. Jetzt weiß ich nicht mehr weiter.“

Welche Folgen hat das für die psychosoziale Beratung?

Rückkehrdruck erhöht das Ohnmachtsgefühl und das Ausgeliefertsein, beides ist hinderlich und hemmend für die psychosoziale Beratung. In einer Krisensituation ist eine logische und gesunde Einschätzung der Situation nur bedingt möglich. Da es um existentielle Fragen von Sicherheit und lebenswichtige Entscheidungen geht, kann zusätzlicher Druck Krisen vertiefen und zu Kurzschlussreaktionen führen. Psychosoziale Beratung und Therapie eröffnen nur in einer Atmosphäre der Sicherheit, in einem geschützten Raum, die Chance zum Gespräch über traumatische Erlebnisse und seelische Verletzungen infolge von Verfolgung, Krieg und Flucht.

Durch die Ansätze der Rückkehrberatung, die in unterschiedlichen Institutionen auftaucht, wird das Vertrauen in Beratungseinrichtungen generell beeinflusst und oft nachhaltig erschüttert. Der Schritt, eine psychosoziale Beratung oder Psychotherapie in Anspruch zu nehmen, erfordert an sich schon Kraft und ist unter diesen Voraussetzungen noch schwerer. Die Menschen brauchen Sicherheit und Ruhe, um erst einmal anzukommen und diesen Schritt gehen zu können. In dieser Situation ist der politisch gesetzte Fokus auf Rückkehr alles andere als hilfreich. Besonders dramatisch wird es, wenn Menschen dadurch in suizidale Krisen geraten und in der Beratung sagen: „Ich kann nicht zurück. Eher bringe ich mich um.“ Die Arbeit mit Menschen, die entwurzelt, verletzt und gefoltert wurden, sich auf der Flucht befinden oder gerade angekommen sind, fordert den Fachkräften daher sehr viel ab.

Wie reagieren Mitarbeitende der BAfF, wenn Leute sich zu einer Rückkehr entscheiden?

Wenn Beratungsnehmende zurückkehren wollen, dann unterstützen wir sie dabei und loten mit ihnen Sicherheit, Perspektiven und Chancen aus. Schwierig ist es jedoch, wenn Menschen in Panik oder aus Verzweiflung zurückgehen wollen, da in akuten Krisen eine richtige Einschätzung und gute Entscheidung nur bedingt möglich sind. Die Programme zur Förderung Freiwilliger Rückkehr sind Teil eines generellen Rückführungstrends. Die Geflüchteten wissen um die vielen vollzogenen Abschiebungen. Dies führt zu Verunsicherung. Oft hören wir in Beratungen, dass Eltern fassungslos fragen: „Soll ich warten, bis ich morgens mit den Kindern aus dem Schlaf gerissen und abgeschoben werde oder soll ich selbst ausreisen?“ Sie haben große Angst und wollen ihre Kinder vor einer gewaltvollen Abschiebung und möglicherweise erneuten Traumatisierung schützen.

Kann eine „freiwillige“ Rückkehr auch positiv verlaufen? Welche Voraussetzungen müssen dafür gegeben sein?

Zunächst einmal schauen wir uns gemeinsam an, was die Beratungsnehmenden nach einer Rückkehr erwartet. Gibt es Schutz, ein Sicherheit gebendes soziales Umfeld, berufliche Perspektiven, Versorgungs- oder Rehabilitationsmöglichkeiten – ist das vorhanden oder lässt es sich entwickeln? Wir überlegen zusammen, welche sozialen Netzwerke sie vor Ort aktivieren können und helfen gegebenenfalls dabei, mit Menschenrechtsorganisationen im Herkunftsland Verbindung aufzunehmen. Es gibt durchaus Menschen, bei denen die Rückkehr unter diesen Bedingungen eine gute Alternative sein kann. Sind solche Perspektiven und Netzwerke nicht vorhanden, kann sich eine Rückkehr – auch wenn der Wunsch da ist – schwierig gestalten.

In einem Fall mussten wir einer alleinstehenden Frau aus Eritrea, die extreme Gewalt erlebt hatte und psychisch krank war, von einer Rückkehr abraten. Sie hatte mit sieben Jahren die Ermordung ihrer Familie überlebt und war seither auf der Flucht. Eine Hilfsorganisation hatte sie über viele Stationen nach Deutschland gebracht, wo sie medizinisch behandelt wurde. In Gesprächen wurde klar, dass sie keine Verbindung und keinen Bezug zu ihrem Herkunftsland mehr hatte. Eine andere junge Frau aus dem Kosovo, deren Familie größtenteils in Deutschland lebte, wollte gerne zurück, um zu studieren. Ihre Familie aber machte sich Sorgen, da die Frau nach einer Traumatisierung an Panikattacken litt, und wollte, dass sie hierblieb. Die junge Frau ist dennoch zurückgekehrt und hat – trotz großer Anfangsschwierigkeiten – ein Studium begonnen. In diesen und anderen Fällen ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen, damit die Klient:innen genau abwägen können und in ihrem Entscheidungsprozess gut begleitet werden.

Welche Rolle spielt es, durch wen die Beratung stattfindet?

Sozialarbeiter:innen in Psychosozialen Zentren weisen zunehmend darauf hin, dass es aufgrund fehlender Finanzierung zu wenige unabhängige und ergebnisoffene Beratungangebote gibt. Gleichzeitig werden Beratungen, die den Fokus klar auf Rückkehr setzen, ausgebaut. Das Bedürfnis nach Sicherheit und Schutz der Menschen spielt dabei keine Rolle spielt. Eine Therapeut:in hat es so ausgedrückt: „Ich finden es zynisch, zu Beginn der Beratung über Rückkehr zu sprechen.“ Den Menschen bleibt das verwehrt, was sie am dringendsten benötigen, nämlich Schutz und Unterstützung. Sie kommen in die Beratung oder Behandlung, weil sie in seelischer Not sind. Viele haben massive Verluste erlitten. Sie haben ihre Familien und Freund:innen, ihr Hab und Gut, ihren Beruf, ihr ganzes bisheriges Leben und ihre Heimat verloren. Es dauert oft Monate bis Jahre, um beispielsweise über Folter und Gewalt sprechen zu können. Eine Beratung zur Rückkehr muss daher zum richtigen Zeitpunkt stattfinden.

Berater:innen beklagen, dass sie in Gewissenskonflikte kommen. Nur wenn sie unabhängig und frei sind, in beide Richtungen zu beraten, können sie die Betroffenen angemessen unterstützen. Dass insbesondere Familien mit Kleinkindern sich zur Rückkehr entscheiden, zeigt, wie wenig das Ganze oft mit Freiwilligkeit zu tun hat. Sie halten den Druck nicht mehr aus. Das weist auf unser Dilemma hin: Die Menschen haben oft keine Alternative oder können keine entwickeln, wenn sie einer Abschiebung zuvorkommen wollen. Daran kann auch die beste Beratung nichts ändern. Alternativlosigkeit führt jede psychosoziale Entscheidungshilfe letztlich ad absurdum.

Das Interview führte Nina Violetta Schwarz.

„Rückkehr, die als alternativlos aufgedrängt wird, ist für viele Geflüchtete eine weitere traumatische Sequenz von existentieller Verlusterfahrung. Eine solche Form der Rückkehr zerstört auch das Gerechtigkeitsgefühl und das gesellschaftliche Engagement des Hilfesystems.“

Usche Merk ist bei medico international Fachreferentin für Psychosoziale Arbeit