Welche Perspektive? Welche Heimat?

von Uwe Kekeritz, MdB, Sprecher für Entwicklungspolitik der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Als Bundesminister Gerd Müller 2017 den Bereich Rückführung als eine seiner neuen Prioritäten ausrief, war bei allen, die sich mit Entwicklungspolitik befassen, das Entsetzen groß. Auch bei mir. Der Entwicklungsminister hatte sich im Zuge der aufgeheizten Migrationsdebatte vor den Karren seiner Parteikollegen Söder und Seehofer spannen lassen, die durch eine Abschottungs- und Abschiebekampagne vergeblich versuchten, der AfD das Wasser abzugraben. Engagiert verteidigte er sein Vorgehen. Er war stolz darauf, als einziger Minister des Kabinetts an Seehofers „Masterplan Migration“ mitgearbeitet zu haben, und erklärte Rückführungen kurzer Hand zur entwicklungspolitischen Wohltat.

Entwicklungspolitik als Feigenblatt

Vier Jahre nach diesem bizarren Schauspiel muss man sagen, dass der Bereich Rückführung inzwischen an öffentliche Aufmerksamkeit eingebüßt hat. Weniger fragwürdig sind die Vorgänge gleichwohl nicht geworden. Auch heute steht ein Teil der deutschen Entwicklungspolitik im Dienste des innenpolitisch getriebenen Interesses der Unionsparteien, Geflüchtete und Migrant:innen in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Dieser Teil der Entwicklungspolitik soll Jobs schaffen, die die Menschen in den Herkunftsländern von der Migration abhalten, und diejenigen, die „rückgeführt“ wurden, in Jobs vermitteln.

Tatsächlich geht es jedoch vor allem darum, Entwicklungspolitik als Feigenblatt für eine unwürdige Abschiebe- und Rückführungspraxis zu benutzen. Das ließ sich das Entwicklungsministerium von 2017 bis 2020 rund 250 Millionen Euro kosten. All dies widerspricht nicht nur dem entwicklungspolitischen Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), das sich um die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit in den Partnerländern und nicht um die Abschottungsinteressen Deutschlands und der EU kümmern sollte; es funktioniert auch schlicht nicht.

Perspektive Heimat – eine entwicklungspolitische Fata Morgana

Von Anfang an wurde deutlich, dass es dem Ministerium in erster Linie darum ging, Erfolgsmeldungen in den Bereichen Beratung und Jobvermittlung durch hohe Zahlen zu erzielen. Die offiziell 9.452 Beratungsgespräche in Asien und Afrika der letzten vier Jahre beziehen sich oftmals auf den Besuch einer Mitarbeiter:in der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) an einer Universität oder einen Stand auf einer Messe. So lassen sich schon an einem Tag mit einem gut gefüllten Hörsaal hunderte Beratungsgespräche aufs Papier bringen. Mit echter Beratung hat das wenig zu tun. Es wurden auch keine Aussagen zur Dauer und die Qualität von vermittelten Jobs gemacht, sodass die Zahlen schlicht unbrauchbar sind.

Ich habe im Laufe der letzten Jahre die Beratungszentren in Marokko, im Senegal und in Tunesien besucht. Ich habe mich auch mit den beauftragten Trägerorganisationen in Erfurt, Trier und Stuttgart getroffen. All dies hat meinen Eindruck verfestigt, dass es sich bei der vermeintlichen „Perspektive Heimat“um eine entwicklungspolitische Fata Morgana handelt. Von den Erfolgsmeldungen, die das Ministerium rund um das Programm verkündete, war vor Ort nicht viel zu sehen. Keines der Zentren dürfte irgendwen von der Migration nach Europa abgehalten haben. Die Wiedereingliederung der Rückkehrer:innen erschien – so es sie denn überhaupt gab – sehr überschaubar. Es kann ja durchaus sinnvoll sein, junge Menschen bei der Jobsuche zu beraten. Das öffentliche Buhei, das das Entwicklungsministerium darum veranstaltet, ist jedoch völlig unangemessen. Zu behaupten, das Programm habe in irgendeiner Weise positive Effekte für Migrant:innen, ist der reinste Etikettenschwindel.

Migration als Chance begreifen

Eine von innenpolitischen Interessen getriebene Entwicklungspolitik ist nicht nur falsch, sie funktioniert auch nicht. Das Programm „Perspektive Heimat“ gehört abgeschafft. Statt die Entwicklungszusammenarbeit in den Dienst der Abschottungspolitik zu stellen, müssen endlich Strukturen geschaffen werden, die Menschen legale Zuwanderungswege eröffnen. Migration kann positive Entwicklungseffekte erzielen. Dieses Potenzial zu verschenken, ist fahrlässig. So viel Geld für unwirksame Maßnahmen wie die des Programms „Perspektive Heimat“ auszugeben, ist jedoch unverantwortlich.