MARROKO

Zurückgelockt

Samir Ayadi: Marokko – Türkei und einmal quer durch Europa – Deutschland – Marokko

Samir Ayadi* kommt aus dem Nordosten Marokkos. 2010 heiratet er, bald darauf wird er Vater und versucht, mit seiner Familie gut über die Runden zu kommen. Doch es klappt nicht.

Das Geld reicht nie und Arbeit gibt es nur gelegentlich. Samir sucht nach Lösungen und beginnt Drogen zu verkaufen. Doch das wird ihm schnell zu gefährlich, er weiß, dass er andere Wege finden muss. Also entscheidet er, nach Europa zu gehen. Um Geld zu verdienen, aber auch, um sein Studium zu beenden, das er in Marokko nach nur einem Jahr abbrechen musste.

Zerstobene Hoffnung in Deutschland

Im Dezember 2015 nimmt Samir einen Direktflug von Tanger nach Istanbul, seine Frau und seine zwei Kinder lässt er zurück. Sein Weg führt ihn in einem kaum seetauglichen Boot von Izmir auf die griechische Insel Lesbos und im Anschluss über Mazedonien, Slowenien, Serbien, Kroatien und Italien nach Frankreich. Hier hält er sich drei Jahre ohne Papiere und mit Gelegenheitsjobs über Wasser; die Aussichten auf einen legalen Aufenthaltstitel sind schlecht. Er will es in Deutschland versuchen. Im Winter 2018 kommt er hier an und bei einem Verwandten unter. Schließlich meldet er sich bei den zuständigen Behörden und zieht kurz darauf in ein Aufnahmezentrum für Geflüchtete in Bonn um. Es wird immer deutlicher, dass Samir, wie schon in Frankreich, auch in Deutschland kaum Chancen auf einen legalen Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis hat. Seine Hoffnungen auf ein Studium begräbt er endgültig. Der Gedanke an seine Familie lässt ihn verzweifeln, schafft er es doch seit fast vier Jahren nicht, ihren Lebensunterhalt aus der Ferne zu finanzieren.

Im Aufnahmezentrum rät ihm ein Freund, sich über die „Programme zur freiwilligen Rückkehr und Reintegration“ zu informieren. Samir ist beindruckt von den Möglichkeiten, die ihm angeboten werden, und entscheidet sich dazu, einen Neuanfang in Marokko zu wagen. Über die Kooperation des deutschen Reintegrationsprogramms mit der marokkanischen Arbeitsagentur ANAPEC wird ihm Orientierung auf dem Arbeitsmarkt sowie die Begleitung und Unterstützung beim Aufbau eines Kleinunternehmens zugesichert. Auch angesichts der Covid-19 Pandemie und ihren Auswirkungen auf den ohnehin angespannten marokkanischen Arbeitsmarkt wirkt die zugesicherte umfangreiche Reintegrationsmaßnahme wie die ersehnte Lösung. Bald, so glaubt er, wird er die Existenz seiner Familie sichern können.

Bittere Realitäten in Marokko

Im Februar 2019 wird sein Antrag auf Rückkehr genehmigt und er bekommt ein Laissez-passé-Dokument zum problemlosen Grenzübertritt. Noch in Düsseldorf erhält er am Tag seiner Ausreise 1.500 Euro Startgeld. Er ist voller Hoffnung. Doch als Samir am internationalen Flughafen Mohammed V. in Casablanca ankommt, wird er von der Grenzpolizei abgefangen. Drei Tage lang ist er in Haft und wird er verhört, vor allem dazu, warum er sich illegal in Deutschland aufgehalten habe. Samir ist schockiert, hat aber auch keine Kontaktnummern zu den deutschen Behörden, die ihm in Düsseldorf die problemlose Einreise nach Marokko versprochen hatten. Später erfährt er, dass „freiwillige“ Rückführungen oft nicht begleitet und auch nicht kommuniziert werden. Vor Ort sind weder NGOs noch marokkanischen Behörden informiert.

Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft versucht Samir vergebens, die versprochene zweite Rate von 1.000 Euro zu erhalten. Auch die Ankündigungen, ihn in Arbeit zu vermitteln oder ihn beim Aufbau einer Existenz zu unterstützen, lösen sich in Luft auf, er erhält nicht einmal mehr Auskunft. Samir erklärt, dass es aufgrund der Covid-19 Kontaktbeschränkungen und Restriktionen schwierig war, sich bei jemandem zu beschweren. Er versucht es bei dem marokkanisch-deutschen Informationsbüro für Migration und berufliche Eingliederung (EIMA) in Oujda, erhält jedoch keine Antwort. Er hat das Gefühl, wieder vor dem Nichts zu stehen. „Es geht wohl vor allem darum, dass wir das Papier zur Rückkehr um jeden Preis unterschreiben.“ Mittlerweile hat Samir – ohne die zugesagte Unterstützung – den ein oder anderen Gelegenheitsjob gefunden: Er arbeitet als Aushilfe in einer Bäckerei, ab und zu kann er Aufträge als Maler ausführen. Doch zum Leben reicht es nicht. Wie er glaubt, sich und seiner Familie ein Auskommen ermöglichen zu können? Samir zieht durchaus in Betracht, noch einmal den gefährlichen Weg nach Europa zu wagen.

* Namen von der Redaktion geändert.