TUNESIEN

Das GIZ-Beratungszentrum in Tunesien und die Mär vom Reintegrationserfolg

Das von Bundesregierung und GIZ als Erfolgsmodell dargestellte Programm „Perspektive Heimat“ soll in ihre Herkunftsländer zurückgekehrten oder abgeschobenen Menschen bei ihrer beruflichen „Re-Integration“ helfen. Ein genauerer Blick auf ein Beratungszentrum in Tunis zeigt, dass dies nicht funktioniert und es tatsächlich um andere Ziele geht.

von Sofian Philip Naceur, lebt und arbeitet als freier Journalist in Tunis.

Hell erleuchtete Konferenzräume, modern eingerichtete Büros, neue IT- und Schulungsausstattung und eine mit einem Zahlenschloss gesicherte Eingangstür: Das von der bundeseigenen Entwicklungshilfeagentur Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Tunesiens Regierung gemeinsam betriebene „Deutsch-tunesische Beratungszentrum für Jobs, Migration und Reintegration“ im Bezirk La Fayette in der Hauptstadt Tunis versprüht den Charme einer deutschen Amtsstelle. Tunesiens Arbeitsministerium scheint dem Zentrum dabei durchaus Bedeutung beizumessen, hat man es doch im Erdgeschoss des Hauptsitzes der staatlichen tunesischen Arbeitsagentur ANETI (Nationale Agentur für Beschäftigung und Selbstständigkeit) im Stadtzentrum angesiedelt.

Die von der GIZ angepriesene Erfolgsbilanz der 2017 gegründeten und seither von der Bundesregierung mit 575.000 Euro pro Jahr geförderten Einrichtung sollte jedoch keineswegs für bare Münze genommen werden. Denn ein Blick hinter die Kulissen zeigt, dass die von der GIZ vorgelegten Zahlen mit Vorsicht zu genießen sind. Während es undurchsichtig bleibt, wie sie genau erhoben werden, kann die GIZ keine überzeugenden Angaben über die Nachhaltigkeit und Dauer der von ihr geschaffenen Jobs machen. Scharf kritisiert wird das Zentrum daher auch von ehemaligen GIZ-Mitarbeiter:innen und Abgeordneten des Deutschen Bundestages.

Kaum messbare Wirkung

Hauptaufgabe der Einrichtung sei es, so ein GIZ-Sprecher auf Anfrage, Menschen in Tunesien „individuell über ihre Jobchancen vor Ort“ zu informieren, „Möglichkeiten und Voraussetzungen für eine reguläre Migration“ darzulegen, vor den Risiken der irregulären Migration zu warnen und tunesischen Arbeitssuchenden Beratungs- und Qualifizierungsmaßnahmen anzubieten, mit denen ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt in Tunesien verbessert werden sollen. Ein weiterer von Bundesregierung und GIZ verfolgter Zweck der auch „Migrationsberatungszentrum“ genannten Einrichtung sei es, sogenannte „Rückkehrer:innen“ – meist sind damit aus Europa abgeschobene oder „freiwillig“ ausgereiste Menschen gemeint – bei der „sozialen und wirtschaftlichen Reintegration“ zu unterstützen und ihnen damit im Herkunftsland eine „Perspektive“ zu eröffnen.

Umgesetzt und finanziert wird das Projekt im Rahmen des 2017 lancierten Programms „Perspektive Heimat“, mit dem das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) und die GIZ „Fluchtursachen bekämpfen“ und aus Deutschland Abgeschobenen eine „Bleibe- und Zukunftsperspektive“ in ihren Heimatländern verschaffen wollen. Die vorgelegten Zahlen über die Wirkung der Maßnahme muten atemberaubend an. Da ist es wenig verwunderlich, dass BMZ und GIZ gebetsmühlenartig und sinngemäß von einem „vollen Erfolg“ sprechen. Auf der GIZ-Website werden ganz im Sinne dieses Narrativs „Erfolgsgeschichten“ von Menschen präsentiert, die nach ihrer Abschiebung oder „freiwilligen“ Rückkehr aus Deutschland mit Hilfe der GIZ einen Job gefunden haben – in Tunesien, aber auch in anderen Ländern, in denen  Maßnahmen des Programms finanziert werden.

Bisher sind im Rahmen des Programms weltweit rund 860.000 individuelle Fördermaßnahmen bereitgestellt worden, erklärt der GIZ-Sprecher. Etwa 170.000 Menschen seien in Beschäftigung gekommen und rund 68.000 Wiedereingliederungsmaßnahmen für Rückkehrer:innen durchgeführt worden. In Tunesien allein seien seit 2017 knapp 45.000 „individuelle Fördermaßnahmen für eine Vorbereitung oder Vermittlung in eine Beschäftigung oder gesellschaftliche Integration“ umgesetzt worden. Über 2.000 Menschen hätten demnach mit Unterstützung von „Perspektive Heimat“ einen Job gefunden, darunter rund 80 Rückkehrer:innen. Mehr als 2.500 Existenzgründungsmaßnahmen seien angeboten worden, darunter 140 für Rückkehrer:innen (Stand der Zahlen: April 2021). Völlig unklar bleibt derweil, wie viele der Jobs bis heute existieren und wie viele der Existenzgründungsmaßnahmen tatsächlich dazu geführt haben, dass Begünstigte heute ihren Lebensunterhalt ohne externe Hilfe bestreiten können.

Während im Rahmen von „Perspektive Heimat“ verschiedene Projektansätze finanziert und angestoßen wurden, macht das Modell der Migrationsberatungszentren inzwischen Schule. Die von GIZ und ANETI betriebene Einrichtung in Tunis ist keineswegs die einzige dieser Art, die mit deutschen Entwicklungshilfemitteln aufgebaut wurde. Insgesamt gibt es nach BMZ-Angaben inzwischen 17 Beratungszentren in zwölf Ländern, unter anderem in Albanien, Kosovo, Serbien, Marokko, Ghana, Nigeria, Senegal, Afghanistan, Irak und Ägypten.

Verzerrte Wirklichkeiten

Während sich GIZ und ANETI durchaus auskunftsbereit zeigten und einen Besuch in dem Zentrum in Tunis ermöglichten, bleiben die im Zuge der Gespräche und eines Emailwechsels mit der GIZ-Zentrale in Eschborn gemachten Aussagen betont vage. Ein Austausch mit Uwe Kekeritz, seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages und Sprecher für Entwicklungspolitik der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, bestärkt die Vermutung, dass die GIZ in ihrer Öffentlichkeitsarbeit über die Beratungszentren aus guten Gründen auf genauere Auskünfte verzichten. Kekeritz hat mehrere dieser Zentren besucht, auch das in Tunis. Er sieht keinen Anlass, von einem „Erfolgsmodell“ zu sprechen. Ihm zufolge ist die Arbeit des Zentrums „wenig überzeugend“, es bleibe unklar, inwiefern die Beratung der Betroffenen zu einer tatsächlich besseren Integration in den Arbeitsmarkt führe.

Auch die offiziellen Zahlen über die Vermittlung von Arbeitsplätzen zweifelt Kekeritz an, denn die GIZ könne keinerlei Aussagen über Dauer und Qualität der vermittelten Arbeitsplätze machen. „Vielmehr scheint versucht zu werden, ein Zerrbild der Lage zu erzeugen“, so Kekeritz. „Vor Ort wurde uns ein Rückkehrer vorgestellt. Ich rechnete also mit einer exemplarischen Erfolgsgeschichte, die sowohl die Notwendigkeit als auch die Funktionsfähigkeit der Einrichtung unter Beweis stellen sollte. Allerdings hatte das Zentrum dem Mann nichts weiter als eine Anstellung im Gemüseladen seiner eigenen Familie organisiert. Dass es hierzu der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bedarf, kann durchaus in Frage gestellt werden“, erklärt der Grüne spitzzüngig.

Während der GIZ-Sprecher behauptet, „Perspektive Heimat“ schaffe „auch langfristig Strukturen, um die nachhaltige Entwicklung in den Partnerländern zu fördern“, sieht Kekeritz nicht, dass mittels des Zentrums selbsttragende und nachhaltige Strukturen geschaffen werden. Dabei ist das Zentrum in Tunis offensichtlich kein Einzelfall. Das Fazit von Kekeritz nach seinen Besuchen in mehreren dieser Zentren in afrikanischen Ländern: „Überall wurde deutlich, dass die Programme [in Deutschland, Anmk.] innenpolitisch erwünscht, aber entwicklungspolitisch nicht tragfähig waren.“

Ex-GIZler:innen ziehen verheerende Bilanz

Heftige Kritik an den Rückkehrer:innenzentren kommt dabei auch aus GIZ-Kreisen selbst – jedoch nur anonym. Denn BMZ und GIZ haben ihrem Personal de facto einen Maulkorb angelegt. medico hat dennoch mit ehemaligen GIZ-Mitarbeiter:innen sprechen können, die in mehreren Ländern für die GIZ gearbeitet haben und die Rückkehrer:innenprogramme zum Teil deutlich kritisieren. In Frage gestellt wird nicht nur die Wirksamkeit der Projekte. Auch die von der GIZ verfolgten Strategien und die vorgelegten Zahlen würden GIZ-intern mit Argwohn betrachtet. „Es wurden vom BMZ indirekt Soll-Ziele aufgestellt. Das BMZ will bestimmte Zahlen haben, um eine Erfolgsquote für die gelungene Reintegration von Rückkehrer:innen präsentieren zu können“, heißt es aus GIZ-Kreisen. „Zahlenmäßig ist das alles eine Farce, die Statistiken sind Unsinn.“

 Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ von 2015 habe den gesamten Entwicklungshilfeapparat verändert. Heute sei die Vorgabe, dass alles, was die GIZ macht, unbedingt dazu beitragen muss, den „Migrationsdruck“ zu verringern. Eine:r findet klare Worte: „Wir wissen alle sehr genau, dass diese ganzen Reintegrationsprojekte nichts bringen. Sie sind Makulatur. Es wird sprichwörtlich Theater gespielt, wenn die Presse vorbeikommt.“

Irreführende GIZ-Rhetorik

Fraglich ist in der Tat, ob Beschäftigungsförderungs- oder Reintegrationsprogramme tatsächlich zu einer Verringerung des „Migrationsdruckes“ führen. Auch Kekeritz bezweifelt das. „Es spricht nichts dagegen, Menschen in so genannten Entwicklungsländern beim Jobeinstieg zu helfen. Mit Migration hat das Ganze jedoch herzlich wenig zu tun. Man sollte es tunlichst unterlassen, den Eindruck zu erwecken, dass so die Migrationsbereitschaft oder die Reintegration von Zurückgekehrten, entwicklungspolitisch strukturell positiv beeinflusst werden kann“, meint der Abgeordnete.

Der GIZ sollte diese Problematik eigentlich bekannt sein, hat sie doch selber 2019 eine nur für den internen Gebrauch vorgesehene Studie in Auftrag gegeben. Sie trägt den Titel „A review of the evidence on employment promotion and mobility and implications for policy and practice“ und liegt medico vor. Ziel der Untersuchung war es, den Zusammenhang zwischen Beschäftigungsförderung und Migrationsbereitschaft zu überprüfen. Das 75-seitige Dokument stellt klar fest, dass Beschäftigungsförderung keine signifikante Auswirkung auf Mobilität hat. Auch könne „kein kausaler Zusammenhang zwischen Beschäftigungsförderung und der wirtschaftlichen Dimension von Reintegration gezogen werden.“ Aufgrund unzureichender Datenlage und einem Mangel an Beweisen könne zudem nicht bestätigt werden, dass Beschäftigungsförderung die Migrationsbereitschaft vermindere. Trotz dieses eindeutigen Verdikts behauptet die GIZ weiterhin öffentlich das Gegenteil.

„Wie zynisch muss es in den Ohren von Geflüchteten und Migrant:innen klingen, die alles hinter sich gelassen, vieles riskiert und Schreckliches erlitten haben, wenn man ihnen eine ‚freiwillige‘ Rückkehr anbietet, die sich mehr an den innenpolitischen Interessen Europas als an ihrem Wunsch und Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Würde orientiert. Die vollmundigen Versprechungen auf eine ‚Re-Integration‘ in gesellschaftliche Verhältnisse, die der Grund für ihre Flucht waren und die sich seither zumeist eher verschlechtert haben, müssen ihnen wie Hohn erscheinen.“

Sabine Eckart koordiniert bei medico international den Arbeitsbereich Flucht und Migration.