SYRIEN

Syrien ist nicht sicher, nirgendwo

Trotz der schwierigen Sicherheitslage in Syrien wird die Rückkehr dorthin gefördert und der „Ausreisedruck“ erhöht. Betroffene bringt das in tödliche Gefahr. In Kombination mit der Aufhebung des Abschiebestopps nach Syrien ist sie Ausdruck einer Politik, die sagt: Geh – oder du wirst gegangen. 

von Ansar Jasim, lebt in Berlin und arbeitet bei Adopt a Revolution, wo sie für die Kommunikation mit den Projektpartner:innen in Syrien zuständig ist. 

„Returning from Germany“, das „Informationsportal zur freiwilligen Rückkehr und Reintegration“ des Bundes, stellt klar, dass eine „freiwillige“ Rückkehr nach Syrien nicht sicher sei und „(a)ufgrund der anhaltend schwierigen Sicherheitslage“ nicht durch die IOM-Programme REAG/GARP sowie StarthilfePlus gefördert werden kann. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) prüfe und beobachte die Situation jedoch kontinuierlich. Tatsächlich bestehe aber aufgrund der Eigeninitiative der Bundesländer die Möglichkeit, über sogenannte „antragübermittelnde Stellen“, also Ausländerbehörden, Landesämter für Flüchtlinge (LAF) oder aber beratende Nichtregierungsorganisationen (NRO), einen Antrag auf „freiwillige Rückkehr“ zu stellen.

Das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) erstattet den Bundesländern anteilig die dadurch entstehenden Kosten entsprechend der „Förderleistungen“ des REAG/GARP- Programms. Diese werden aber – anders als sonst üblich – nicht über ein lokales IOM-Büro oder eine andere kooperierende Stelle im Herkunftsland ausgezahlt. Stattdessen wird die Fördersumme nach Erhalt des Rückflugtickets noch in Deutschland bar ausgezahlt. Pro Familienverband kann man die Summe von bis zu 3.500 Euro bzw. bei sogenannter frühzeitiger Ausreise (vor Abschluss des Asylverfahrens) von 4.000 EUR erhalten. Außerdem helfen die deutschen Behörden bei der Beschaffung von Reisedokumenten, etwa mit einem sogenannten Laissez-Passé-Dokument, ein Papier zum einmaligen Grenzübertritt.

Plakataktionen und steigende Ausreisezahlen

Das Bundesministerium des Inneren (BMI) behauptet, nicht gezielt für die  Rückkehr nach Syrien zu werben. Viele Syrer:innen empfinden das anders. Die bundesweite Plakataktion des BMI im November 2018 mit der Überschrift „Dein Land. Deine Zukunft. Jetzt!“ und verschiedenen im Zickzack-Muster angeordneten Staatsflaggen, richtete sich vorgeblich an „Personen ohne Bleibeperspektive“, zeigte aber nicht zuletzt die offizielle Flagge Syriens prominent an vorderster Stelle. Die Aktion wurde von Rechtsextremen aufgegriffen, die offenbar Anknüpfungspunkte zur Rhetorik der Alternative für Deutschland (AfD) sahen.

Laut BAMF gab es 2017 insgesamt 199, im Jahr danach 466 und 2019 insgesamt 347 Personen, die „freiwillig“ nach Syrien ausgereist sind. 2020, so geht es aus der schriftlichen Anfrage an das BMI durch den Abgeordneten Omid Nouripour hervor, waren es 83 Personen, die meisten haben zwischen einem und drei Jahren in Deutschland gelebt. Von Januar bis März 2021 haben dem LAF Berlin zufolge alleine in Berlin neun Personen die Rückkehrprogramme nach Syrien in Anspruch genommen.

Unabhängige Beratung ist nicht die Regel

Aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage von 2019 geht hervor, dass die Anträge – mit Ausnahme von vier Fällen 2017 und zwei Fällen 2018 – über die Ausländerbehörden gestellt wurden. Während beratende NROs gezielt aufgesucht werden müssen, haben Asylsuchende oder Personen mit Flüchtlingsstatus automatisch Kontakt mit den staatlichen Stellen. Dies wirft die Frage nach einer unabhängigen und ergebnisoffenen Beratung auf. Auch auf welcher Grundlage die Beratung erfolgt, also wie gut die Berater:innen über die Situation in Syrien informiert sind, bleibt unklar. Die Bundesregierung verweist auf die Rückkehrberatungsstellen und die Länder.

Eine staatliche Stelle gab an, dass die Schilderungen der Menschen, die zu ihnen kommen, eine wichtige Informationsquelle seien, da Syrer:innen die Lage vor Ort am besten einschätzen könnten. Dieses Vertrauen in die Einschätzung von Syrer:innen ist erfreulich. Allerdings wird dieses Prinzip an anderer Stelle, sei es bei der „Mitwirkungspflicht zur Passbeschaffung“ bei der syrischen Botschaft oder bei der Frage von Wehrdienstverweigerung als Asylgrund nicht angewandt.

Das Auswärtige Amt jedenfalls äußert sich in seinem Bericht zur Lage in Syrien vom November 2020 wie bereits in den Berichten von 2018 und 2019 eindeutig. Demnach kann „(e)ine sichere Rückkehr (…) derzeit für keine bestimmte Region Syriens und für keine Personengruppe grundsätzlich gewährleistet und überprüft werden“. Weiter heißt es, dass immer wieder Rückkehrende erneuter Repression und „unmittelbarer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt“ sind. Außerdem bleibe „die Gefahr, Opfer staatlicher Repression und Willkür zu werden, (…) für den Einzelnen weiterhin unvorhersehbar und führt zu einem Klima allgegenwärtiger Angst und Unsicherheit.“

Dies bestätigen auch die Zahlen der Graswurzelorganisation Syrian Association for Citizen’s Dignity (SACD) in einer Erhebung von 2019. Demnach werden 37 Prozent der Rückkehrenden oder ihre Verwandten von den Geheimdiensten gesucht. 25 Prozent wurden nach ihrer Rückkehr verhört oder verhaftet. 84 Prozent der Befragten würden anderen Syrer:innen von einer Rückkehr abraten. 58 Prozent würden Syrien wieder verlassen, wenn sie könnten.

Aussetzung von Familiennachzug erhöht den Druck

Zwar werden die Gründe nicht systematisch erfasst. Aber beratende Stellen und auch die Bundesregierung nennen Integrationsschwierigkeiten, Heimweh, familiäre Gründe und die Lebenssituation der Familien in Syrien als wichtige Faktoren für die Entscheidung zu einer Rückkehr. Eine beratende Berliner NRO beschreibt zudem genderspezifische Rückkehrgründe für Frauen wie Pflege der alleinstehenden Mutter oder Flucht vor dem syrischen Ehemann in Deutschland. Von den Landesämtern heißt es zudem, dass Menschen, die unter die Dublin-Regel fallen – also Asylsuchende, die entsprechend des Dublin-III-Abkommens von einem EU-Staat in einen anderen rückgeführt werden sollen – manchmal lieber die Rückkehrhilfe in Anspruch nähmen als in einen Drittstaat abgeschoben zu werden.

Aufschlussreich ist auch ein Blick auf den Schutzstatus der Rückkehrenden: Aus einer Behörde heißt es, dass keine:r der Rückgekehrten einen vollen Flüchtlingsstatus nach der Genfer Konvention oder Asyl nach GG §16 gehabt habe. Sie hätten lediglich subsidiären Schutz, Duldung oder eine Grenzüberschreitungsanordnung gehabt. Dies lenkt den Fokus auf die Praxis der deutschen Behörden: Während 2015 noch 99,7 Prozent aller Syrer:innen den vollen Flüchtlingsschutz erhielten, waren es 2016 nur noch 58 Prozent, 2017 sank die Zahl auf 38 Prozent – während 61 Prozent  subsidiären Schutz bekamen (viele dieser Entscheidungen wurden in einer „Upgrade-Klage“ aufgehoben).

Parallel zu dieser Entwicklung kam mit dem Asylpaket II im März 2016 die zweijährige Aussetzung des Familiennachzugs. Seit 2018 wurde dann mit dem Familiennachzugsneuregelungsgesetz der Nachzug per Kontingentregelung so stark eingeschränkt, dass viele Familien über Jahre voneinander getrennt bleiben. Auch Personen, die vor der politischen Verfolgung des Assad-Regimes fliehen mussten, sind von der Neuregelung betroffen.  Manchmal machen sich Familien nach jahrelangem Warten in prekären Situationen alleine auf den Weg – oft mit tödlichen Konsequenzen wie in dem tragischen Fall von Salah J.s Familie.

Zur Rückkehr gedrängt

Der Fall von Khalil, einem Verleger aus Damaskus, zeigt, welch große Rolle die Trennung von Familien bei der Rückkehrentscheidung spielt: Die Frau des langjährigen Oppositionellen hat die libanesische Staatsbürgerschaft, obwohl sie selbst nie dort gelebt hat. Dieses Relikt aus der französischen Kolonialzeit spielte keine Rolle, bis ihr unter Berufung auf ihre Staatsbürgerschaft zunächst die Familienzusammenführung verweigert wurde. Libanon sei ein sicheres Drittland, in dem sie gemeinsam als Familie leben könnten, wurde ihr beschieden, die prekäre Sicherheitssituation von Syrer:innen vor Ort ignorierend.

Weil er die Trennung nicht länger aushielt und es ohne Familienzusammenführung keine Perspektive gab, dass er seine Familie jemals wieder sehen würde, willigte Khalil ein, nach Syrien zurückzukehren, auch wenn die Gefahr einer Festnahme am Flughafen und einer Inhaftierung mit Todesfolge groß war. Khalil bekam enormen juristischen und zivilgesellschaftlichen Beistand in Deutschland. Nur so bekamen seine Frau und Kinder schließlich das Einreisevisum nach Deutschland.

Personen, die aus familiären Gründen zurückkehren „wollen“, auch wenn sie dabei ihr Leben riskieren, brauchen statt der Förderung ihrer „freiwilligen“ Rückkehr eine Perspektive zur Nachholung ihrer Verwandten. 2019 änderte das BAMF vorrübergehend seine Syrien-Leitsätze, was zur Vergabe von Abschiebeverboten statt subsidiärem Schutz führte. Dieser sehr schwache Schutz aus „humanitären Gründen“ hebt nicht nur den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf. Er macht einen Familiennachzug so gut wie unmöglich.

Dies und die Rücknahme der Aufenthaltstitel syrischer Schutzsuchender zeigt, wie systematisch Strukturen geschaffen werden, die Menschen in die „freiwillige“ Rückkehr drängen. Die Komplexität von Rückkehrgründen, Beratungsstrukturen und Beratungsinhalte sowie Alternativen für die Betroffenen müssen transparent gemacht werden, Beratungen sollten zudem von unabhängigen nicht-staatlichen Stellen geleistet werden und nicht von Ausländerbehörden und Landesämtern.

Systematisches Verschwinden von Rückkehrer:innen

Es existiert kein Mechanismus und wohl auch kein Interesse von Behörden in Deutschland, die Situation von Syrer:innen nach ihrer Rückkehr zu überprüfen. Das mag daran liegen, dass Rückkehrer:innen mit der Ausreise ihren Aufenthaltsstatus und jegliche Ansprüche auf Schutz in Deutschland verlieren. Das Syrian Networt for Human Rights (SNHR) beziffert die Zahl der zwischen 2014 und 2019 in Syrien inhaftierten Rückkehrer:innen auf 1.132 Personen, von denen 638 als verschwunden gelten. Recherchen von Foreign Policy zufolge seien darunter auch Fälle aus Deutschland, die etwa aufgrund der Zerstörung ihrer Häuser nicht die notwendigen Papiere für eine Familienzusammenführung beschaffen konnten.

Der bekannteste und vielleicht schockierendste Fall eines „freiwilligen“ Rückkehrers ist der des aus Deir Azzor stammenden und mehrfach inhaftierten Aktivisten Mazen al-Hamada, der 2014 Asyl in den Niederlanden erhielt. Wenn auch nicht über ein Rückkehrprogramm gefördert, so wirft sein Fall aber Licht auf die Komplexität von Rückkehrentscheidungen und das Schicksal Geflüchteter nach ihrer vermeintlich sicheren Ankunft in Europa. Im Dokumentationsfilm „Syria´s Diasppeared“ (2018) beschreibt er im Detail den Horror der Folter in Syrien. Mit seiner Arbeit wollte er dazu beitragen, dass das syrische Regime eines Tages zur Rechenschaft gezogen würde.

Freund:innen zufolge bestieg Hamada im Februar 2020 ein Flugzeug in Berlin-Schönefeld nach Beirut mit Anschlussflug nach Damaskus. Er sei zunehmend frustriert gewesen, dass seine Arbeit nichts bringe, während das Regime weitere Teile des Landes rückerobert. Wie politisch Traumata sind, verdeutlicht, was er beim Umsteigen in Beirut sagte: „Ich will mich selbst opfern, um das Blutvergießen zu stoppen.“ Recherchen zufolge habe sich Hamada vor seiner Einreise mehrmals bei der syrischen Botschaft in Berlin vergewissert, nicht vom Regime gesucht zu sein. Seit seiner Ankunft am Damaszener Flughafen fehlt von Hamada jede Spur. Vermutlich wurde er verhaftet – was in Syrien heißt, dass er verschwunden ist. Damit reiht sich die Geschichte von Hamada in das tragische Schicksal von 100 000 seit März 2011 Verschwundenen ein.

Syrien ist nicht sicher

Seit 2012 galt ein Abschiebestopp nach Syrien, der im Dezember 2020 von der Innenminister:innenkonferenz in Weimar aufgehoben wurde. Vor allem aus innenpolitischem Kalkül und mithilfe populistischer Agitation gegen „ausländische Straftäter:innen“, jedoch mit weitreichenden außenpolitischen Folgen: Abschieben nach Syrien hieße Zusammenarbeit mit dem völkerrechtswidrigen Regime in Damaskus, welches erst vor kurzem am Oberlandesgericht in Koblenz der systematischen Folter überführt wurde.

Die von syrischen Aktivist:innen und von einem breiten Bündnis zivilgesellschaftlicher Bewegungen getragene Kampagne „Syria not safe“ beleuchtet die Sicherheitslage in Syrien und lässt Syrer:innen schildern, was mit ihnen passiert, würden sie abgeschoben. Die Aufhebung des Abschiebestopps, die zunehmende Aberkennung des Schutzstatus von Syrer:innen sowie die Programme zur Freiwilligen Rückkehr auch nach Syrien – es sind alles Teile einer Politik, die zum Ziel hat, die Menschen von hier wegzubekommen. Es ist eine Politik, die sagt: Geh – oder du wirst gegangen.

„Das Perfide ist, dass jede:r syrische Geflüchtete vor Inanspruchnahme der Finanzierung einer Rückkehr einen Rechtsmittelverzicht unterschreiben muss. Damit erlischt der rechtliche Anspruch, im Nachhinein gegen das Behördenhandeln vorgehen zu können, selbst dann, wenn ein:e Rückkehrer:in in Syrien in Gefahr gerät.“

Till Küster, Politikwissenschaftler und bei medico international Projektkoordinator für den Nahen Osten