NORDIRAK

Das schlimmste Jahr des Lebens

Hasim und Tahmineh Jafarzadeh: Nordirak – Deutschland – Nordirak

Es war ein warmer, sonniger Herbst in Berlin, als Hasim und Tahmineh Jafarzadeh* mit ihren beiden Kindern – der noch sehr kleinen Basima und dem vierjährigen Yassin – 2019 mit einem Visum nach Deutschland kamen.

In Erbil im Nordirak hatten sie sich nicht mehr sicher gefühlt, in Deutschland wollten sie eine Perspektive für sich und ihre Kinder finden. Zu Beginn konnten sie bei Freund:innen unterkommen. Doch nachdem sie einen Antrag auf Asyl gestellt hatten, wurden sie in eine Sammelunterkunft in Berlin verlegt und dann nach Schwerin umverteilt.

Gerne wären sie in Berlin geblieben, in der Nähe ihrer Freund:innen, die sie bei allem unterstützt hatten. In Schwerin lebten sie mit anderen Geflüchteten unter einem Dach leben. Es wurden viele Sprachen gesprochen, ein Austausch war kaum möglich und es gab keinerlei offizielle Unterstützung oder Beratung. Die Unterkunft war baufällig und dreckig. Die Isolation in der Sammelunterkunft ließ Hasim und Tahmineh depressiv werden. Der kleine Yassin stellte seinem Vater immer wieder die gleiche Frage: „Warum müssen wir in diesem Gefängnis sein?"

Islolation, Corona, Rassismus

Die Depression der Eltern verschlimmerte sich durch Begegnungen mit Menschen in der Umgebung, die ihnen Ablehnung und Verachtung entgegenbrachten. Schließlich machten die Restriktionen aufgrund der Corona-Pandemie das ohnehin schwere Leben im Lager immer unerträglicher und verstärkten Isolations- und Angstgefühle. Da sie kein Anrecht auf einen Deutschkurs hatten, brachte sich Tahmineh Deutsch auf YouTube bei und versuchte, es manchmal beim Einkaufen anzuwenden. Doch meistens wurde sie von den Verkäufer:innen ignoriert. Ihr Eindruck: „Wir sind den Menschen hier völlig gleichgültig – oder wir stören sie.“

Einmal traf sie auf dem Weg zurück ins Lager auf eine Frau mit Hund. Völlig unvermittelt ließ diese das Tier von der Leine und auf Tahmineh zurennen. Sie schrie vor Angst und bat, den Hund zurückzurufen. Doch die Frau reagieret nicht. Als der Hund endlich davonlief, drehte sie sich noch einmal um und sagte „Scheiß Ausländer“. „Wörter, die du häufig hörst, lernst du schnell. Rassistische Beleidigungen stehen auf dieser Liste weit oben“, sagt Tahmineh. Die Erfahrung von Hass und Ausgrenzung vertiefte ihre Ängste. Sie verließ das Lager nicht mehr ohne ihren Mann und zog sich immer mehr zurück.

Zu erschöpft für einen Widerspruch

Irgendwann traf ein Schreiben vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein. „Ihr Antrag auf Asyl wurde abgelehnt“ hieß es darin lapidar. Zu diesem Zeitpunkt hatten Hasim und Tahmineh schon keine Kraft mehr, für ihren Antrag zu kämpfen. Tagtäglich Rassismus ausgesetzt zu sein, in Isolation zu leben und nun die Ablehnung des legalen Aufenthalts – all das ließ Hasim unterzeichnen: „Hiermit stimme ich der freiwilligen Ausreise meiner Kernfamilie zu und verzichte auf jegliche rechtliche Aufenthaltsansprüche.“ Gerne hätte er den deutschen Behörden mitgeteilt, dass er in Deutschland eines der schlimmsten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Doch niemand hat ihn gefragt, warum er nach Erbil zurückkehrt, erzählt Hasim.

Seine Hoffnung, wenigstens in Erbil psychologische Unterstützung zu erhalten, zerschlug sich schnell. Noch in Deutschland hatte die Familie Reisegeld erhalten, dann eine „Corona-Prämie“ in Erbil und nach sechs Monaten eine zweite Rate der Unterstützung. Insgesamt waren es 3.000 Euro. Erst dachte Hasim, er könne davon ein kleines Geschäft aufbauen. Doch das Geld reichte nicht einmal, um langfristig eine Wohnung anzumieten. Schließlich kaufte er mit einem Teil der Unterstützung ein Taxi. Um die Finanzierung zu komplettieren, musste er sich Geld leihen. Da die Personen ihr Geld einige Wochen später bereits zurückhaben wollten, musste er das Taxi wieder verkaufen, um seine Schulden zu begleichen.

Hasim zieht ein düsteres Fazit: „Wenn man nach der Rückkehr keine Unterstützung von der Familie hat, kann man es allein mit dem Geld aus dem deutschen Programm nicht schaffen. Es reicht nicht, um ein Geschäft zu gründen. Ohne meinen Bruder hätten wir nicht einmal ein Dach über dem Kopf.“ Tahmineh ergänzt: „Wenn du isoliert wirst, die Sprache nicht kennst und rassistisch beleidigt wirst – da willst du nur noch weg. Das fühlt sich an, wie eine Abschiebung – nur ohne offiziell gezwungen zu werden.“

* Namen von der Redaktion geändert.