AFGHANISTAN

Rückkehr mit Todesfolge

Adnan (†) und Amira Saber: Afghanistan – Deutschland – Afghanistan

Im Herbst 2015 kamen sie gemeinsam aus der afghanischen Stadt Herat nach Deutschland: das junge Paar Adnan und Amira Saber mit ihrem ersten Kind Tara* sowie Adnans Vater. Im Oktober 2015 stellten sie einen Asylantrag in einer kleinen Stadt im Osten Deutschlands.

Ihr Wunsch? Anzukommen, einen sicheren Ort für die Zukunft zu finden und nach vorne schauen zu können. Adnan und Amira hofften auf Unterstützung durch Verwandte in Hamburg. Doch schon bald merken sie, dass sie hinsichtlich aufenthaltsrechtlicher Fragen weder aus ihrem familiären Umfeld noch bei unabhängigen Beratungsstellen die Hilfe erhielten, die sie gebraucht hätten.

Ablehnung des Asylantrags

Die Behörden interessierten sich weder für die aktuellen Lebensumstände noch für die Zukunftspläne der Familie und schätzten die Fluchtgründe vollkommen falsch ein. An einem Tag im Herbst 2016 hielten Adnan und Amira schockiert den negativen Asylbescheid in den Händen. Darin heißt es: „Unter Berücksichtigung der Ausführungen zum Flüchtlingsschutz ist nicht erkennbar, dass den Antragstellern bei Rückkehr nach Afghanistan die Todesstrafe drohen würde. Anhaltspunkte, dass den Antragstellern nach Rückkehr ein ernsthafter Schaden durch Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Eine Schutzfeststellung nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG scheidet ebenfalls aus. (…) Die Antragsteller müssen keine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit befürchten, weil sie als Zivilperson nicht von willkürlicher Gewalt im Rahmen eines in ihrem Herkunftsland bestehenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts betroffen sind. (…) Die Antragsteller sind im Hinblick auf ihre Rückkehr in ihre Heimatstadt Herat keiner individuellen Gefahrenlage ausgesetzt.“

Adnan hatte in der Anhörung vorgetragen, dass er in Herat bedroht worden war und die Hintergründe dargelegt. Drohanrufe und brennende Benzinkanister im Hof seien eindeutige Signale gewesen. Nachdem er dies der dortigen Staatsanwaltschaft vorgetragen hatte, hatte ihn der Staatsanwalt selbst verhaften lassen. Gegen Lösegeld kam Adnan wieder frei. In Deutschland erkannten die Behörden all das nicht als Asylgrund an. Anders bei Adnans Vater: Auch er hatte angegeben, in Herat bedroht worden zu sein. Seinem Asylgesuch wurde stattgegeben.

Adnan und Amira hätten Widerspruch gegen den Asylbescheid einlegen können. In Anbetracht der positiven Aufenthaltsentscheidung von Adnans Vater wären die Aussichten sogar gut gewesen. Aber die beiden sprachen noch nicht gut Deutsch, kannten ihre rechtlichen Möglichkeiten nicht und hatten große Angst vor einer gewaltsamen Abschiebung durch die Polizei. Obwohl Amira mittlerweile wieder schwanger war, eröffnete die Ausländerbehörde dem Paar keine weiteren Möglichkeiten – außer einer: die Freiwillige Rückkehr. Letztlich war es der limitierte Zugang zu unabhängiger rechtlicher Beratung, der die Familie 2017 dazu brachte, sich einer Rückkehr nach Afghanistan zu beugen.

Zurück in Herat – die Katastrophe geschieht

Ende 2017 verabschiedete sich die dreiköpfige Familie von Adnans Vater und flog zurück in die Region Herat. Die Ankunft gestaltete sich schwierig. Zwar hatten die beiden Eheleute im Rahmen des Rückkehrprogramms pro Person rund 500 Euro erhalten. Aber das Geld war bald aufgebraucht und weder Adnan noch Amira fand Arbeit. Sie kamen vorläufig bei Verwandten unter, bald wurde ihr zweites Kind geboren. Doch sie wussten, dass sie in ständiger Gefahr waren und verließen das Haus nur selten. Im April 2019 – Adnan war mit dem Moped auf dem Rückweg vom Markt, wo er Essen für die Familie besorgt hatte – schlug ihm jemand mit einem Holzscheit auf den Hinterkopf. Wenig später starb er an den Folgen des Schlages. Vieles weist darauf hin, dass diejenigen, die ihn ermordet hatten, auch für die Drohungen vor der Zeit in Deutschland verantwortlich war. Es handelt sich um eine militarisierte Gruppe, die oft mit den Taliban zusammenarbeitet und ein Dorf südlich von Herat regiert.

Adnan hinterlässt seine Frau und zwei Kinder. Für Amira ist die Situation seit dem Tod ihres Mannes unsicherer denn je. Kaum hatte sie wegen des Mordes an ihrem Mann Anzeige erstattet, erhielt sie einen Brief: Ihr toter Ehemann habe Geldschulden und sie müsse diese begleichen.Adnans Vater, noch immer in Deutschland und in tiefer Trauer um seinen Sohn, fürchtet nun für seine Schwiegertochter das Schlimmste. Es ist nicht auszuschließen, dass man sie zwangsverheiratet, um die Schulden zu begleichen. Aktuell lebt Amira deshalb mit den Kindern bei entfernten Verwandten. Nach Adnans Tod hat sie keinerlei finanzielle, rechtliche oder psychosoziale Unterstützung mehr erhalten. Wie es weitergehen soll, weiß sie nicht.

* Namen von der Redaktion geändert.