AFGHANISTAN

Kafkaeske deutsche Bürokratie

Wasif Nazemi: Iran – Griechenland – Deutschland – Afghanistan

Als Wasif Nazemi* 2018 in Kabul ankommt, ist er allein. Weder über die Rückkehrberatung noch über private Kontakte findet er Ansprechpartner:innen und Unterstützung. In seiner tiefen Depression in Deutschland habe er nicht mehr klar denken und die Konsequenzen seiner Entscheidung einschätzen können.

Doch in Kabul wurde ihm schlagartig klar, dass es ein großer Fehler gewesen war, aufzugeben und dorthin zurückzukehren, wo er noch nie zuvor war. Denn wie so viele Afghan:innen ist Wasif als Geflüchteter im Iran aufgewachsen. Als „Rückkehrender“ betrat er 2018 zum ersten Mal in seinem Leben afghanischen Boden. Nichts hier war vertraut, konnte Stabilität oder Autonomie vermitteln. Und sicher war es auch nicht. Seine deutsche Freundin Julia erinnert sich daran, wie verzweifelt und durcheinander er gewesen war, als sie ein paar Wochen nach seiner Ankunft in Kabul mit ihm telefonierte. Er habe gesagt: „Ich muss dieses Land wieder verlassen, hier gibt es nichts für mich.“

Zermürbt zurück

Wasif war aus dem Iran nach Griechenland geflohen. Deutschland erreichte er im Herbst 2015. Hier hatte er Glück im Unglück: Zwar dauerte die Bearbeitung seines Asylantrages sehr lange und in dieser Phase durfte er weder arbeiten oder offiziell einen Deutschkurs besuchen noch in eine eigene Wohnung ziehen. Doch er traf auf engagierte Menschen einer Willkommensinitiative. So konnte er informell an einem Deutschkurs teilnehmen. Hier lernte er auch Julia kennen, die beiden freundeten sich an. Julia bestätigt, dass Wasif keinen sicheren Aufenthalt erhalten hat, Monate auf eine Arbeitserlaubnis warten musste, von Sprachkursen ausgeschlossen und daher dauerhaft auf ehrenamtliche Unterstützung angewiesen war. Aufgrund dieser Einschränkungen und des Gefühls nicht voranzukommen, sei er in tiefe Depression gestürzt. Schließlich entschied er sich, über ein Programm zur Freiwilligen Rückkehr auszureisen. Julia betont: „Freiwillig? Das möchte ich in Anführungszeichen setzen.“

Seit Wasif wieder in Kabul ist, telefoniert er oft mit Julia. Gemeinsam haben sie überlegt, dass sie ihn offiziell nach Deutschland einlädt. Anders als nach einer Abschiebung ist das bei einer „freiwilligen“ Rückkehr möglich. Doch während Julia alles für eine Verpflichtungserklärung und weitere Unterlagen zusammensuchte, wird ihr von deutschen Behörden mitgeteilt, dass Wasif Nazemi als „unbekannt verzogen“ registriert und eine Einladung deshalb ausgeschlossen sei. „Sie zweifelten an, dass Wasif überhaupt in Kabul angekommen war“, erklärt Julia.

Im Dschungel der Behörden

Geschehen ist dies: Wasif hat sich bei der zuständigen Ausländerbehörde in Deutschland offiziell für die freiwillige Ausreise angemeldet. Noch am Flughafen ist er mit einem Taschengeld ausgestattet worden. Doch sein Verbleib nach der Rückkehr ist nicht dokumentiert worden. Nachforschungen bei deutschen Behörden und Institutionen in Kabul ergeben schließlich, dass jede Person bei der Ankunft in Kabul das Formular einer sogenannten Grenzübertrittsbescheinigung (GÜB) einreichen muss. Wasif und die anderen, die mit ihm ausreisten, wurden darüber nicht informiert. „Gibt man dieses Formular nicht ab, gilt man als unbekannt verzogen. Für die deutschen Behörden war Wasif also nicht nach Kabul ausgereist, er war einfach nicht existent. Und jemanden, der offiziell nicht existiert, kann man nicht einladen“, beschreibt Julia die administrative Logik.

Es gibt sehr wohl offizielle Dokumente, die Wasifs Rückkehr belegen: Zwei Tage nach seiner Ankunft in Kabul hat er bei der zuständigen afghanischen Behörde einen Pass ausstellen lassen. Doch selbst dieses Dokument erkennen die deutschen Behörden nicht als Beweis seiner Anwesenheit in Kabul an. Vielmehr verlangen sie, er solle zwecks Identitätsklärung und zum Beweis seiner Ankunft in Kabul bei einer deutschen Botschaft vorsprechen. Allerdings ist die Visastelle für Afghan:innen der Vertretung in Kabul geschlossen. Wasif wird an die Botschaften im Iran, in der Türkei oder in Pakistan verwiesen. Tatsächlich bucht er einen Termin bei der deutschen Botschaft in Istanbul. Doch die Türkei verwehrt ihm die Einreise.

Den Plan einer offiziellen Einladung nach Deutschland haben Julia und Wasif begraben. Wasif lebt heute ohne soziale Anbindung und ohne Arbeit in Herat. Und da er für die deutschen Behörden nie offiziell in Afghanistan angekommen ist, entfällt auch sein Anspruch auf die in den Rückkehrprogrammen zugesicherte längerfristige finanzielle und psychosoziale Unterstützung.

* Namen von der Redaktion geändert.